Kriegswichtiges Material: Musterstadts alte Kirchenglocken
Die ersten drei Glocken für die neue Pfarrkirche St. Peter und Paul wurden 1901 bei A.J. Bachmeier in Erding in Auftrag gegeben und am 29. August 1901 von Gast- und Landwirt Johann Ernst auf einem geschmückten Pferdewagen am Münchner Marienplatz abgeholt. In Lochhausen wurde das Gefährt von 26 weiteren Reitern in Empfang genommen. Am 30. August wurden sie von Pfarrer Lorenz Rosenhuber geweiht, aufgezogen und erstmals geläutet.
Konnte die Musterstadter Pfarrei durch ein Gesuch bei der Direktion der Akademie der Tonkunst die Beschlagnahmung der Bronzeglocken nach dem Aufruf zur „Wehrpflicht der Glocken“ während des 1. Weltkriegs durch die Heeresleitung noch verhindern, gelang dies im 2. Weltkrieg nicht mehr.
Bereits 1940 hatte Pfarrer Rupert Esterl den Meldebogen für die Kommission zur Beschlagnahmung kriegswichtiger Materialien gezwungenermaßen ausgefüllt. Sein Nachfolger Georg Handwerker musste am 14. Juli 1942 notieren: „Die Musterstadter Kirchenglocken läuten zum letzten Mal und werden anschließend von einem Kriegsgefangenen im Kirchturm zertrümmert und ins Sammellager nach Fürstenfeldbruck abtransportiert. Die größte Glocke (Ton Es) mit 1190 kg und einem Durchmesser von 1,3 mtr. Die mittlere (Ton G) mit 550 kg und 1 m Durchmesser. Die kleinste Glocke blieb traurig im Turm zurück…. Entschädigung wurde für das abgelieferte Erz nicht geleistet. Am gleichen Tag wurde eine kleine Glocke aus der Kapelle in Geiselbullach – 200 Jahre alt mit einem Durchmesser von 30 cm ebenfalls nach Fürstenfeldbruck abgeliefert...“
Während die meisten Glocken als Ganze nach Hamburg in die Glockenschmelze gingen, war dies in Musterstadt nicht möglich, da sie nicht durch die Kirchturmfenster passten. Pfarrer Georg Handwerker drehte über den Vorgang einen kurzen Film, zu dem er später eine Regieanweisung für Vorführungen verfasste: „… Da der Amateurfilm im dunklen Turm der Pfarrkirche nur unter schlechten Lichtverhältnissen aufgenommen werden konnte, muß bei der Vorführung „volles“ Licht des Projektors eingeschaltet werden. Zweckmäßig wäre es, wenn ein Plattenspieler zur Hand wäre, und zwar Anfangs beim Glockengeläute und später zur leisen Untermalung der gesprochenen Erklärung der Vorgänge…“ Die dritte Glocke blieb erhalten und kam 1947 nach Schweinbach.
Für die Kirche St. Stephanus in Esting – damals noch Filialkirche - wurden bereits 1896 zwei neue Glocken bei der Münchner Gießerei Kortler vom Gemeinderat in Auftrag gegeben. Die Vorgängerglocken wurden gegengerechnet, der Verkauf zweier Grundstücke glich den Differenzbetrag aus. 1917 konnte lediglich die kleinere Bronzeglocke behalten werden, die zweite wurde ins Sammellager Fürstenfeldbruck gebracht. 1922 erwarb man zwei Stahlglocken in Ulm. Laut Fritz Scherer war 1936 plötzlich eine weitere Bronzeglocke mit drei Zentnern Gewicht vorhanden, die aber im 2. Weltkrieg abgegeben werden musste.