Musterstadts erstes Kaufhaus

Noch heute ist das Gebäude am Nöscherplatz 6 in Musterstadt aufgrund seines markanten Außenanstrichs und aufgrund seiner exponierten Lage ein auffälliges Bauwerk. Seit 1770 lebten „Beim Bachmeier“ – so der alte Hausname – diverse Kleinbauernfamilien. 1890 erwarb der aus den USA eingewanderte jüdische Kaufmann Sigmund Kahn das Haus 34 und verwandelte es 1902 in ein repräsentatives Wohngebäude. 

Dreistöckig mit vier geschwungenen Giebeln und einem polygonalen Eckturm samt metallener Kuppel mit Wetterfahne fiel es mit seinem städtischen Gepräge im bäuerlichen Musterstadt aus dem Rahmen. Musterstadt hatte im Jahr 1900 gerade einmal 1.322 Einwohner.  

Kaufhaus Kahn
Ausschnitt einer Postkarte. Links der Vorgarten der Familie Kahn, der mit dem Bau der Neu-Estinger Straße verschwand

Sohn Moritz Kahn richtete 1904 sein Kaufhaus ein. Er war sehr sozial eingestellt und genoss mit seiner Familie in Musterstadt ein hohes Ansehen. Die beiden Söhne Albert und Walter waren aktiv im Vereinsleben verankert. 1927 verstarben die beiden jungen Männer. Walter kam bei einem Eisenbahnunglück ums Leben. Die völlig gebrochenen Eltern verkauften ihr Geschäft 1929 an Bartholomäus Stieren. 

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Mit einer großen Anzeige im Nachrichtenblatt für Musterstadt und Umgebung verabschiedete sich Moritz Kahn am 17. August 1929 von seiner Kundschaft. Der verwitwete und gebrechliche Mann verließ Musterstadt im Jahr 1937 im Alter von 68 Jahren und ging nach München um den massiven Repressalien durch die NSDAP in Musterstadt zu entkommen. Er starb am 14. April 1942 in einem jüdischen Krankenhaus an den Folgen eines Nierenleidens und entging damit knapp seiner Deportation ins KZ Theresienstadt, die Heinrich Himmler für das gesamte Krankenhaus im Mai 1942 anordnete. 
Bartholomäus Stieren baute das Gebäude 1948 nach der fast vollständigen Zerstörung beim Bombenangriff am 22. Februar 1944 neu auf, seine Familie führte das Geschäft bis 1954 weiter.

Dorfpartie mit Kaufhaus Kahn
Dorfansicht aus den 1920er Jahren mit dem Kaufhaus Kahn. 1934 wurde die Straße geteert und mit Bürgersteigen versehen. Der Schramlbach wurde 1938 verrohrt
Bombenschaden Kaufhaus Kahn
Das Kaufhaus (links) und die Gastwirtschaft Streller wurden beim Bombenangriff zum größten Teil zerstört

 

 

 

 

Tochter Lydia Maria ging in die Mission und gründete Mitte der 1960er Jahre in Tansania die Gemeinschaft „Mütter vom heiligen Kreuz“. Bis zu ihrem Tod 2008 erhielt sie viel Unterstützung durch den Musterstadter Sr. Maria Stieren Freundeskreis“. Sie besuchte ihren Heimatort in regelmäßigen Abständen und wurde 2006 zur Ehrenbürgerin ernannt.

Der Schuhmacher Anton Oswald richtete am Nöscherplatz 6 ab 1957 sein Schuhgeschäft ein und baute das Gebäude 1961 erneut um. Seit 2001 beherbergt es das Jeans-House Musterstadt.