Rede zum Neujahrsempfang 2024
„Aus Zumutung wird Mut im Gegenwind“
Neujahrsempfang der Stadt Musterstadt am 19. Januar 2024
Rede von Bürgermeister Andreas Magg
Es gilt das gesprochene Wort!
Verehrte Gäste,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
vielen Dank für die musikalische Gestaltung heute Abend an Alida Will und Mats Visser!
Alida ist eine äußerst talentierte Musicalsängerin, die ich vor Jahren bei Auftritten am Gymnasium Musterstadt kennengelernt habe. Sie hat sich heute mit Mats tolle Unterstützung von ihrer Musical-Akademie mitgebracht und wir werden von beiden später noch mehr hören!
Gestatten Sie mir, einige Gäste unter Ihnen persönlich zu begrüßen. Gerne sparen Sie sich Ihren Applaus bis zum Ende der Begrüßungen auf. Vielen Dank.
Ich freue mich sehr, als Vertreter der katholischen Kirche Herrn Pfarrer Steindlmüller vom Pfarrverband Esting/Musterstadt begrüßen zu dürfen.
Ebenso freue ich mich, die Vertrauensfrau im Kirchenvorstand der evangelischen Gemeinde, Frau Peiffer-Kucharcik, begrüßen zu dürfen, die Herrn Pfarrer Barth heute vertritt.
Ein herzliches Willkommen an Frau Uta Böhm, die sich in der evangelischen Kirchengemeinde besonders verdient gemacht hat bei der Leitung des Kindergottesdienst-Teams, im Kirchenvorstand und beim Weltgebetstag. Vielen Dank für dieses Engagement!
Ich freue mich, dass die stellvertretende Landrätin Frau Drechsler heute an unserem Neujahrsempfang teilnimmt.
Ich begrüße ganz herzlich
· den Abgeordneten aus dem deutschen Bundestag, Herrn Michael Schrodi
· den Landtagsabgeordneten Herrn Andreas Birzele,
· meine Stellvertreter, den 2. Bürgermeister, Maximilian Gigl, und die 3. Bürgermeisterin, Dr. Ingrid Jaschke,
· Herrn Altbürgermeister Ewald Zachmann,
· sowie alle weiteren Damen und Herren des Musterstadter Stadtrates, die heute anwesend sind.
· Herr Peter Rogalski ist heute bei uns, unser neuer Stiftungsvorstand bei der Stadtstiftung Musterstadt – wie Sie wissen, unterstützt die Stadtstiftung verschiedene gemeinnützige Vorhaben in der Stadt Musterstadt.
· Willkommen heiße ich Simon Deuschl, den Athletensprecher der Special Olympics Bayern.
· Sowie zahlreiche weitere erfolgreiche Sportlerinnen und Sportler.
Beim Thema Sport fällt mir ein, dass neben Rudi Brunnenmeier, der seinerzeit bei 1860 spielte, es jetzt auch einen Fußballprofi beim FC Bayern gibt, der aus Musterstadt kommt – Aleksandar Pavlovic. Er konnte heute leider nicht kommen.
· Ein Kaiserpaar begrüßen zu dürfen kommt auch nicht alle Tage vor, ich freue mich, dass Prinzessin Linda I. und Prinz Florian I. – alias Kaiserin Sisi und Franz von Österreich – bei uns sind, wie auch das Jugendprinzenpaar Lara-Sophie I. und Luis II.
· Und nun natürlich Ihnen allen ein herzliches Willkommen, den Vereinsvertreterinnen und -vertretern,
und für Ihre Arbeit, Ihr Engagement und Ihr Herzblut, von dem letztlich ganz Musterstadt profitiert, schon jetzt ein großes Dankeschön! Schön, dass so viele von Ihnen heute Abend gekommen sind.
· Auch aus der Unternehmerwelt sind eine Reihe von Gästen anwesend. Sie sorgen für gute Ausbildungs- und Arbeitsplätze vor Ort und im Jahr 2023 mit 1,5 Mio. Euro höheren Einnahmen bei der Gewerbesteuer als veranschlagt. Dafür stellvertretend an die Familie Rauscher, die 2023 Preisträger der städtischen Unternehmensauszeichnung wurde, ein herzliches Dankeschön!
Zum Schluss heiße ich natürlich ganz besonders herzlich auch alle anderen unserer geschätzten Gäste willkommen, die ich nicht namentlich begrüßen konnte.
Wir freuen uns sehr, dass Sie alle heute bei uns sind.
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Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, was Alida und Mats oder besser ich Ihnen mit diesem möglicherweise doch ein wenig in die Jahre gekommenen Schlager zu Beginn mit auf den Weg geben möchte?
Ich weiß es jetzt selbst nicht mehr so genau, aber wenn Alida ihn singt, hört sich der alte Schlager doch einfach wunderbar, jung und frisch an, finden Sie nicht auch?
Im Ernst, meine sehr verehrten Damen und Herren: Vielleicht entnehmen Sie meiner diesjährigen Neujahrsrede einige Thesen, die man am Ende mit einem schmunzelnden Augenzwinkern doch auch diesem kurzen und banal wirkenden Strophen zuschreiben könnte.
Und wenn nein, dann gilt für Sie in jedem Fall dieser Vers aus dem Song in Bezug auf meine Ansprache: „Es geht vorüber, sicherlich!“
Wir leben in einer Zeit mit einer Häufung von enormen, gefühlt kaum mehr überschaubaren Herausforderungen und stetig neuen Superlativen von Hiobsbotschaften. Ich glaube, man kann sagen, wir leben in Zeiten einer sich verstetigenden Sorge.
Der Sorge vor dem, was wohl als nächstes kommt. „Schlimmer geht immer“, könnte man fast spöttisch sagen.
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier bezeichnete Ende 2022 in einer Grundsatzrede unsere Zeit als „rau“. Es habe für Deutschland eine Epoche im Gegenwind begonnen. Gefolgt, und das macht es vermutlich besonders herausfordernd, auf sehr viele, sehr gute Jahre. Viele Jahre mit Rückenwind, obwohl uns nichts dabei in den Schoß gefallen sei.
Ich erspare Ihnen nun eine Aufzählung der Dinge, die uns momentan beunruhigen auf unserer Welt, in unserem Land, weil sie uns allen sicherlich auch heute Abend sehr bewusst sind. Zu diesen Sorgen kommen noch Ihre höchst persönlichen, kleinen wie großen, dazu.
Ob es um einen lieben Angehörigen geht, der erkrankt ist, Freunde, die in Nöten sind, Schäden, die Ihnen zugefügt wurden, möglicherweise durch Sturm und Wasser – lieber Herr Kuchenbauer, da denke ich unweigerlich an Sie und Ihren Vogelpark – oder, oder, oder. Ich traue mich, zu vermuten, dass wohl niemand heute unter uns ist, der nicht mindestens eine persönliche Sorge mit im Gepäck hat.
Ich bin der Auffassung, dass Corona, mit all seinen Zumutungen und Entbehrungen, der Sorge vor Ansteckung, Krankheit und Tod, dem großen Bewusstsein dafür, die Übertragung des gefährlichen Virus zu vermeiden, aus Verantwortlichkeit vor denen in unserer Gesellschaft, die am verletzlichsten waren, die Sehnsucht hat erwachsen lassen, zu einem Zeitpunkt X, zu einem ganz konkreten Moment, all diese Sorgen auf einen Schlag wieder los zu werden. Alles sollte wieder so sein, wie es durch die rosa Brille des Zurückblickens so unbeschwert zu sein gewesen schien.
Unser persönliches Reservoir an Sorgen und Zumutungen war vollgelaufen.
Nun ist es – so scheint mir – vollends übergelaufen. Corona bleibt, wenn auch glücklicherweise weniger beängstigend, im wahrsten Sinne des Wortes virulent.
Vielleicht hatten auch Sie die eine oder andere Befürchtung in den Adventswochen, ob Sie Weihnachten wie geplant gesund und munter im Kreise Ihrer Familie verbringen werden können.
Natürlich gibt es weit tragischere Geschehnisse, als wenn Weihnachten für den einen oder anderen krankheitsbedingt ausfällt, aber es nagt eben auch an der Psyche und an der erhofften unbeschwerten Zeit. Auch – in momentan globalem Verhältnis - kleine Dinge tun etwas mit uns und mit unserer Gesellschaft.
Zum Überlaufen bringen es nun die zumindest gefühlt in einer doch epochalen Fülle angehäuften Krisen und die Frage: Sind diese Krisen noch beherrschbar und wenn ja durch wen oder was?
Auch hierzulande, so meint man die gesamtgesellschaftliche Gefühlslage wahrzunehmen, wächst in der Dauerkrise das Bedürfnis nach risikobereiter, beherzter Führung.
Einem Entscheider, der alles zum Guten wendet, schnell und effektiv. Einem, der einfache Antworten hat, mögen die Fragen noch so komplex sein. Der Schluss macht mit weiteren Zumutungen, Herausforderungen, Unsicherheiten. Nicht bloß Basta, wir schaffen das oder Doppelwums! Sondern einer, der ordentlich durchgreift.
Damit alles wieder genauso schön und sorglos wird, so wie sie vermeintlich war, vor kurzem noch, die Zeit im Rückenwind.
Ich muss zugeben, dass ich trotz all den insbesondere in den sogenannten Sozialen Medien wahrzunehmenden aufgeheizten Stimmungen, doch einigermaßen schockiert war, dass nach einer Veranstaltung mit geladenen Gästen in der anschließenden Gesprächsrunde an meinem Tisch ein Unternehmer zu seiner Tischnachbarin sagte: Was wir in diesem Land bräuchten, sei doch mal wieder so ein kleiner Führer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Schlimme ist, auch wenn er die Tragweite seiner Aussage wohl in diesem Moment nicht völlig überriss, der meinte das im Kern durchaus ernst. Und das bereitet mir tatsächlich Sorge!
Was wir dagegen wirklich brauchen, in dieser unruhigen und stürmischen Zeit, ist eine Gesellschaft mit widerstandskräftigen Bürgern, so formuliert es unser Bundespräsident.
Widerstandskräftige Bürger treten ein für ihre Meinungen, äußern ihre Sorgen – aber sie lassen sich nicht vereinnahmen von denen, die unsere Demokratie attackieren. Widerstandskräftige Bürger unterscheiden zwischen der notwendigen Kritik an politischen Entscheidungen – und dem Generalangriff auf unser politisches System. Widerstandskräftige Bürger halten Unsicherheit aus und lassen sich nicht verführen von denen, die einfache Lösungen versprechen.
Vielleicht könnte man meinen, das ist alles weit weg?
Aber das Verbreiten falscher Tatsachen, Fake News, das Diskreditieren anderer, das Tragen mutiger Thesen in die Öffentlichkeit, die bereits beim oberflächlichen Hinsehen wie ein Kartenhaus zusammenklappen, passiert auch im Kleinen; auch in einer Stadt wie unserer und nicht unbedingt nur bei sehr kontroversen Themen. Seien wir also auch in Musterstadt wachsam und widerstandsfähig.
Zu den Sorgen kommen die gefühlten und die realen Zumutungen des Alltags und der besonderen Zeiten. Wir müssen mit Einschränkungen zurechtkommen. Ich habe den Eindruck gewonnen, das fällt uns zunehmend besonders schwer.
Und, das Gefühl lässt mich nicht los, es ist teilweise auch ein Stück weit der persönliche Kompass verloren gegangen, der Kompass, der uns einnordet – oder einordnet - die Folgenschwere und die Bedeutung von eben solchen Zumutungen und eine verhältnismäßige Reaktion darauf.
Die renommierte Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger schreibt in Ihrem Buch „Zumutung Demokratie“ von der Schattenseite des Individualismus. Die Kehrseite sei natürlich auch, dass man sich so sehr daran gewöhnt habe, in erster Linie für sich selbst zu sorgen und sich um sich selbst und die eigenen Bedürfnisse und die eigene Selbstverwirklichung zu kümmern, dass alles, was dem nicht entspricht, dann zunehmend einfach als unzumutbar erlebt wird.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen:
Es hatte geschneit. In Bayern, in München und ja, auch in Musterstadt. Ob es tatsächlich gleich eine Winterhölle war, wie manche Zeitungen getitelt haben, mag dahinstehen. Es war jedoch viel, richtig viel, ungewöhnlich viel Schnee. So viel wie seit angeblich 70 Jahren nicht mehr. Gepaart mit enormer Kälte. -15 Grad zeigte das Quecksilber in jener Nacht. 11 Schneeräumfahrzeuge waren rund 500 Stunden im Einsatz und haben 100 Tonnen Salz sowie 30.000 Kilo Splitt verstreut.
Aber, oh Wunder, und diese kleine Ironie erlauben Sie mir nach gefühlt 100 Beschwerdeemails und Telefonaten – und das war diesmal die Besonderheit, die überwiegend aggressiv fordernd, unangemessen bis justiziabel beleidigend waren – war es nicht möglich, trotz größtem Engagement unseres Bauhofes und auch vieler BürgerInnen, für drei Tage eine Situation zu schaffen, die einem lauen Sommertag im August entspricht. Aber das schien tatsächlich die Erwartungshaltung mancher zu sein.
Ja, unsere Routinen waren gestört, ja, es gab Einschränkungen, ja, es war beschwerlich und bislang stellenweise auch gefährlich. Viele, und dafür danke ich ihnen ausdrücklich, sind ihrer Bürgerpflicht nachgekommen, haben freigeräumte Einfahrten nach der Durchfahrt des Schneeräumers murrend aber doch akzeptierend erneut freigeräumt, Gehsteige gereinigt und ältere Nachbarn versorgt.
Aber kann der eigene Kompass noch richtig justiert sein, wenn Bauhofmitarbeiter bei der Arbeit massiv beschimpft, MitarbeiterInnen der Telefonzentrale beleidigt und schriftlich und mündlich Wörter benutzt werden, die ich Ihnen ersparen möchte?
Um Musterstadt herum war die Lage übrigens bestens, wurde uns erzählt. Der Kollege aus Maisach berichtete mir hingegen, in Musterstadt müsse es wohl viel besser gewesen sein als in Maisach, sagten seine Bürger. Der Kollege aus Gröbenzell erfuhr, Musterstadt und Maisach seien hervorragend geräumt gewesen, nur in Gröbenzell nicht. München sei zum Vorbild zu nehmen, schrieb mir jemand, während zwei Mitarbeiterinnen von mir, wegen der völlig ungeräumten Nebenstraßen Münchens, nicht ins Musterstadter Rathaus kamen.
Ich mache mir seit diesen Tagen ernsthaft Sorgen, was passiert, sollte unsere Gesellschaft oder zumindest dieser laute Teil in eine echte existenzielle Krise geraten? Ist unsere Zivilgesellschaft widerstandsfähig genug und kann sie eigene Bedürfnisse hinter die Erfordernisse der Situation – die in der Regel bei uns ja nur sehr temporär sind – und dem Wohl der Allgemeinheit zurückstellen?
Vereinfacht gefragt: Wie viel Zumutung kann man uns noch zumuten?
Da kommt mir ein Zitat in den Sinn, das U.S. Präsident John F. Kennedy weltberühmt gemacht hat:
„Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“
Was aber im Umkehrschluss sicherlich nicht heißen kann, dass sich politisch Verantwortliche in Land, Bund und Kommunen zurücklehnen können.
Dieses Zitat wiederum lässt mich zurückdenken an die grandiosen Special Olympics World Games, bei denen ich die SportlerInnen von St. Kitts and Nevis in das Olympiastadion Berlin begleiten durfte. Die SportlerInnen, die im Rahmen des Host-Town-Projekts zunächst hier in Musterstadt großartig empfangen und mit unserem Land und unserer Kultur vertraut gemacht wurden.
Ein großer Dank für dieses einmalige Inklusionsprojekt geht an meine beiden Mitarbeiterinnen des Sozialzentrums, Frau Paunert und Frau Probst, für das enorme persönliche Engagement sowie an Sie, Frau Brehmer, an den EbK Musterstadt und unseren Beirat für Menschen mit Behinderung.
Bei der Eröffnung der Special Olympics World Games in Berlin hatte ich übrigens die Ehre, in den weitläufigen Katakomben des Olympiastadions beim stundenlangen Warten auf den Einzug, den Neffen des ehemaligen US-Präsidenten Mark Kennedy Shriver kennenlernen zu dürfen und einige Worte mit ihm wechseln zu können. Jetzt kennt er Musterstadt.
Liebe Frau Brehmer, Frau Probst, Frau Paunert, darf ich Sie zusammen mit Herrn Deuschl bitten, kurz nach vorne zu mir zu kommen, ich möchte Ihnen in diesem Rahmen danke sagen.
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In den Katakomben hatte ich übrigens auch noch die amtierende Miss Amerika getroffen, eine sehr nette junge Dame aus Alaska. Auch sie kannte bislang Musterstadt nicht, kein Wunder, war sie doch trotz deutscher Vorfahren das erste Mal überhaupt in Europa. „Awesome“, und „cool“ sei es hier in jedem Fall, sagte sie, ganz amerikanisch unkompliziert.
Vielleicht würde etwas mehr Gelassenheit zusammen mit Vernunft erlauben, mit den Herausforderungen des Alltags und der Welt unserer Tage besser umzugehen und die richtigen Entscheidungen zu treffen? Gepaart mit dem Blick auf die oder den neben uns. Auf deren Bedürfnisse.
Und einem Engagement für eben diese Anderen.
Wir scheinen in einer Zeit der Extreme zu leben, wobei wir eine Zeit mit deutlich mehr Gemeinsamkeiten und Gemeinsinn bräuchten.
Sie, die hier im Saal sind, Sie leben in beeindruckender Weise vor, wie Gemeinsinn geht. Dank Ihres gesellschaftlichen Engagements!
Dadurch sind Sie der Kitt unserer Stadtgesellschaft,
Sie gestalten, Sie vereinen, bauen Brücken, gleichen aus, halten Kritik aus und tragen ein gerütteltes Maß an Verantwortung und Last.
Ihnen allen dankt die Stadt dafür ausdrücklich und ich ganz persönlich!
„Einfach mal still sein!“, um unsere Gesellschaft wieder mehr ins Gleichgewicht zu bringen, postuliert Kerstin Funke in der SZ. Sie schreibt:
„Ununterbrochen prasseln Nachrichten ein, ein Meeting jagt das nächste, laufend will jemand was, möglichst bitte sofort. Der Arbeitstag wird zur Dauerunterbrechung. Nicht nur in der Wirtschaft gilt Lautsein als Voraussetzung für Erfolg. Auch in den sozialen Medien finden Hier-Schreier und Trommler das meiste Gehör.
Der ganze Tag ist bedrängt von akuten Problemen, die sofort gelöst werden müssen. Echtzeit-Entscheidungen aber vertragen sich nicht mit Menschen, die lieber einen Moment länger nachdenken, bevor sie handeln.
Wir müssen anerkennen, dass gute Entscheidungen Zeit brauchen, damit man Dinge durchdringen und wirklich verstehen kann. Dazu gehört auch, die Dauerablenkung durch soziale Medien auszuschalten. Der Versuchung zu widerstehen, die Welt via Twitter oder Instagram mit jedem Gedankenschnipsel, jedem spontanen Sinneseinfall zu behelligen.“
Es braucht also wieder mehr die leisen Töne, die kleinen Schritte, die Gelassenheit, Zuversicht, Kontinuität und Beständigkeit und die Konzentration auf das, was wirklich wichtig ist, was wir erreicht haben und was noch zu erreichen ist und die Erkenntnis, dass es uns hier in Musterstadt außerordentlich gut geht!
In seinem Buch „Was bleibt, was wird, die Queen und ihr Erbe“ beschreibt Alexander von Schönburg Königin Elisabeth II. als das Paradebeispiel einer Regentin von leiser Natur.
Die Jahrhundertkönigin, die der britischen Monarchie länger vorstand als jedes andere Staatsoberhaupt, soll sich zeitlebens in Gesellschaft ihrer Hunde und Pferde wohler gefühlt haben als in der von Menschen. Und doch stellte sich diese stoische, bis unter die Hutspitze pflichtbewusste Monarchin demütig in den Dienst der Sache – und sorgte so während Dekaden voller Kriege, Krisen und Skandale für Stabilität und Verlässlichkeit. Das Königreich wandelte sich unter ihrer Herrschaft fundamental, doch die Queen blieb immer dieselbe: diszipliniert, distanziert, diskret.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen eine schöne Anekdote nicht vorenthalten:
Darin erzählt der frühere königliche Bodyguard von einem einsamen Spaziergang der Monarchin, den er begleitete, in die schottischen Hügel nahe ihres Schlosses Balmoral, als sich zwei Wanderer aus den USA näherten.
Die ahnungslosen Touristen hielten Smalltalk mit der Queen und ihrem Begleiter. Dann haben sie irgendwann gefragt, wie lange sie die Gegend schon besuche, und Elizabeth habe geantwortet: „Seit ich ein kleines Mädchen war, also seit mehr als 80 Jahren.“
Das habe die Neugierde der Amerikaner geweckt, und sie fragten, ob sie die Königin schon einmal getroffen habe?
Diese habe ohne zu zögern auf den Bodyguard gezeigt und geantwortet: „Nun, ich nicht, aber er hier trifft sie regelmäßig.“
Die Wanderer, denen immer noch nicht bewusst gewesen sei, dass sie die Königin höchstpersönlich vor sich hatten, hätten dem Bodyguard einen Arm um die Schulter gelegt und ihn um ein gemeinsames Foto gebeten. Und die Queen wurde gebeten, dieses Foto zu machen, was sie seelenruhig tat. Die beiden Wanderer seien dann weitergezogen.
Sich selbst nicht immer so ernst zu nehmen, vielleicht auch ein Baustein dafür, Besonnenheit und Kontinuität ausstrahlen zu können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren. In Zumutung steckt ja ein ganz wichtiges anderes Wort drin. Wenn man sich auf die Mitte konzentriert, dann sieht man etwas Neues und Positives: Nämlich Mut!
Schon geht es nicht mehr nur um Qual und Aushalten und Passivsein, sondern ums Zutrauen!
Es geht nicht mehr ums Schlechtreden, um eine Wahrnehmungsverschiebung hin zu den Bad News, sondern um das Anerkennen von Erreichtem, dem eigenen und dem von anderen und das Wahrnehmen der unglaublich vielen guten Nachrichten, die im Sog der schlechten zu verschwinden drohen.
Darum, etwas zu tun, etwas anzugehen, etwas zu lösen.
Aus Zumutung wird Mut im Gegenwind!
Der Klimawandel bringt Extreme wie Sturm, Schnee und Wasser. Hier ein herzliches Dankeschön an unsere Feuerwehren und anderen Rettungsorganisationen sowie an den Bauhof, die im vergangenen Jahr sehr viel damit zu tun hatten.
Aber wir mildern nicht nur die Konsequenzen ab, wir handeln. Und da gibt es auch allerhand gute Nachrichten:
Der deutsche CO2-Ausstoß war 2023 so gering wie seit 70 Jahren nicht mehr. In der Silvester-Woche wurde Deutschlands Strombedarf rechnerisch vollständig aus erneuerbaren Energien erzeugt, trotz kaum Sonne.
In unserer Stadt sind wir bereits heute energieautark. Die Fernwärme wurde auf ein Leitungsnetz von über 40 km ausgebaut und bis 2026 werden voraussichtlich 80 % unseres Gesamtstrombedarfs nicht nur in Musterstadt produziert, sondern auch noch ausschließlich aus Sonnen- und Wasserkraft. Wir wurden als besonders bienenfreundliche Gemeinde ausgezeichnet und sparen 10 Tonnen CO2 pro Jahr durch die Nutzung von Recyclingmaterial für Hygieneprodukte.
106.000 km haben die Musterstadter Stadtradlerinnen und Radler in nur zwei Wochen erstrampelt und das, obwohl unsere Musterstadter Radsportlerin und mehrfache Paralympics Medaillengewinnerin Denise Schindler zwar die Radlerinnen und Radler bei der Auftaktveranstaltung begrüßt hat, ihre Kilometer aber nicht in die Wertung mit einflossen.
An dieser Stelle möchte ich gern Herrn Dieter Metzmann erwähnen, der auch etwas mit dem Thema „Fahrrad“ zu tun hat. Er hat in unserem Helferkreis Asyl die Fahrradwerkstatt aufgebaut und leitet diese – ein herzliches Dankeschön an Sie, Herr Metzmann. Sie sorgen für klimafreundliche Mobilität!
Spontan haben 160 BürgerInnen rund 19.000 Euro gespendet, um neue Bäume am See zu pflanzen, was je nach Witterung im Februar geschehen soll. Unsere klimafreundlichen Busse werden so viel genutzt wie nie zuvor.
Und zum diesjährigen Jahreswechsel hat die Bürgerinitiative UfO wieder erfolgreich eine Lasershow als alternatives Angebot zur Böllerei durchgeführt. Liebe Frau Gaul, vielen Dank dafür und schön, dass Sie heute Abend bei uns sind.
Es gibt also eine Vielzahl von guten Gründen, und ich habe mich exemplarisch jetzt nur auf den Bereich Klima und Energie beschränkt, die uns zuversichtlich und mutig auf die kommenden Herausforderungen blicken lassen.
Ich hätte noch die rund 100 Familien nennen können, die in Summe durch städtische und private Initiativen in moderne bezahlbare Mietwohnungen einziehen können. Ich hätte einen städtischen Haushalt aufzählen können, den wir dem Stadtrat ausgeglichen und ohne neue Schulden angeboten haben, sparsam aber ohne Strukturen zu zerstören oder ehrenamtliches Engagement finanziell zu beschneiden – Stichwort Vereinszuschüsse u.v.m.
Bieten wir also gemeinsam mit Mut und Demut dem Gegenwind die Stirn. Sorgen wir gemeinsam an der Basis unseres Staates für ein wertschätzendes Miteinander, seien wir Vorbilder in unserer Sprache und unserem Handeln, geben wir Orientierung!
Bieten wir Heimat, Überschaubarkeit und Verlässlichkeit!
Sorgen wir für Gemeinschaft, Zusammenhalt und Sinn!
Seien wir respektvoll und anständig miteinander, haben wir Vertrauen in uns und unsere Mitmenschen, lieben wir das Leben und blicken wir kraftvoll, mutig und zuversichtlich ins neue Jahr in dem aus Zumutungen Mut im Gegenwind wird.
Ich wünsche Ihnen allen ein glückliches und gesundes neues Jahr!