Rede anlässlich 60 Jahren Städtepartnerschaft
Musterstadt-Feurs
Offizieller Festakt in der Kulturwerkstatt am Musterstadter Mühlbach (KOM)
Donnerstag, 18. Mai 2023
Rede von Bürgermeister Andreas Magg
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Darfeuille, liebe Marianne,
liebe Freunde aus Feurs,
sehr geehrte Frau stellv. Landrätin Drechsler,
ehemalige Stadträte, Gemeinderäte, VerschwisterungsreferentInnen und alle mit Feurs Verbundenen und Engagierte,
verehrte Festgäste,
zunächst einmal möchte ich die Delegation aus unserer Partnerstadt Feurs, die gestern Abend eingetroffen ist, noch einmal ganz herzlich willkommen heißen und im Namen der Stadt Musterstadt offiziell bei uns begrüßen! Wir freuen uns sehr, dass ihr da seid!
Ich freue mich ganz besonders, meine liebe Amtskollegin Marianne Darfeuille diesmal zum ersten Mal in ihrer Funktion als Bürgermeisterin von Feurs bei uns willkommen heißen zu dürfen. Herzlichen Glückwunsch zu deiner Wahl! Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit dir und deinem Rathaus-Team!
Am 22. Januar 1963, vor 60 Jahren, unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle den Elysee-Vertrag, der 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Partnerschaft zwischen den beiden einst so verfeindeten Nachbarstaaten Frankreich und Deutschland besiegelte und seither als Meilenstein in der Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen gilt. Es war das Ende einer Jahrhunderte währenden Rivalität zwischen unseren beiden Ländern. Er läutete eine Zeit des Lichts nach langer Dunkelheit ein. Ich glaube, es lässt sich nicht überbewerten, welche tiefgreifenden Auswirkungen die Unterschriften der beiden Regierungschefs auf unser Leben und die Entwicklung Europas hatten.
Ganz bemerkenswert finde ich, dass sowohl in Feurs, als auch in Musterstadt, unabhängig von dieser Unterzeichnung auf Länderebene auf kommunaler Ebene dieselbe Idee verfolgt wurde – und das bereits seit Mitte er 1950er Jahre.
In Feurs strengte der damals amtierende Bürgermeister Félix Nigay Überlegungen an, wie sich Frankreich und Deutschland annähern könnten. Er hatte während des Zweiten Weltkriegs in deutscher Kriegsgefangenschaft die Absurdität der deutsch-französischen Feindschaft am eigenen Leibe erfahren und sich geschworen, nach Kriegsende die Verständigung der beiden Länder zu fördern.
In Musterstadt trug sich der Apotheker und Gemeinderat Albert Leiss mit dem Gedanken, eine Verbindung Musterstadts mit einer französischen Kommune in die Wege zu leiten. Auf seinen Antrag hin fasste der Musterstadter Gemeinderat 1959 den Beschluss, eine Gemeindeverschwisterung zu verfolgen und sich deshalb an den Rat der Gemeinden Europas zu wenden.
In Feurs erfuhr man bereits 1959, dass die mögliche künftige Partnergemeinde „Musterstadt bei München“ heißen würde. In Musterstadt erfuhr man erst 1960 durch einen Zufall von der bereits erfolgten Vermittlung. Dennoch dauerte es weitere drei Jahre, bis konkrete Schritte in die Wege geleitet wurden.
Wahrscheinlich wirkte die Unterzeichnung des Elysee-Vertrag Anfang 1963 dann als Beschleuniger. Mathias Duschl, der mittlerweile Bürgermeister von Musterstadt war, richtete ein Grußwort an die Bürgerinnen und Bürger von Feurs, das dort begeistert aufgenommen wurde. In der nachfolgenden Korrespondenz der beiden Kommunen wurde eine Einladung nach Musterstadt ausgesprochen.
Am 2. August 1963 war es dann soweit: Eine Delegation unter Leitung von Bürgermeister Félix Nigay traf in Musterstadt ein. Es gibt ein Foto von der Ankunft des Busses vor der Kirche St. Peter und Paul in der Musterstadter Stadtmitte. Im Bus sitzt noch die französische Delegation, vor der Kirche stehen die Musterstadter Gastgeber. Die Sonne scheint, ein Musterstadter schirmt sich mit der Hand das Gesicht. Erwartung und wahrscheinlich auch Nervosität liegen in der Luft.
Man kann versuchen, sich vorzustellen, wie die Menschen sich gefühlt haben, die damals dabei waren. Viele Dinge waren ganz anders als heute: Man konnte sich nicht vorab den Wikipedia-Eintrag der jeweils anderen Kommune durchlesen. Man konnte nicht den Namen der Bürgermeister googeln oder auf Social Media nachschauen, ob man einem der Delegationsteilnehmer vielleicht schon vorab eine Freundschaftsanfrage schicken wollte. Damals begab man sich noch größtenteils auf eine Reise ins Ungewisse. Viel schwerer wiegt aber, dass damals viele der Beteiligten noch die unmittelbaren Schrecken des Krieges vor Augen hatten, die sie selbst erlebt hatten, genau wie schwere Verluste in ihren Familien, die sie verarbeiten mussten. Welch große persönliche Leistung, die viel Mut und viel Entschlossenheit erfordert haben muss, in einen Bus zu steigen und in das Land zu reisen, das so viel Leid verursacht hatte.
Am darauffolgenden Abend wurde bei einem Fest in der Turnhalle in der Heckenstraße die Verschwisterungsurkunde unterzeichnet und ein neues Kapitel in der Geschichte unserer Kommunen wurde aufgeschlagen. In den Jahren seit 1963 sind sich Bürgerinnen und Bürger zweier Orte, die sich bis dahin überhaupt nicht kannten, auf vielen Ebenen nähergekommen und zu Freunden geworden.
Bürgermeister Nigay sagte nach der Unterzeichnung: „Der Baum Europa umfasst nicht nur Frankreich und Deutschland, sondern die Länder des gemeinsamen Marktes und bald, wie wir hoffen, ganz Europa. Die Früchte, die wir aus dieser Verbindung erhoffen können, sind endgültiger Friede im Innern Europas, ein kräftiger Beitrag für den Frieden in der Welt, Wohlfahrt im Innern, Hilfe für weniger begünstigte Völker, Entfaltung von Kultur und Freundschaft unter allen Menschen.“
Er spricht vom „Baum Europa“, was ich sehr interessant finde. Viele der Ziele, die er formulierte, konnten erreicht werden. Aus Feinden sind Freunde geworden. Aber andere Verwerfungen haben sich nicht dauerhaft schließen lassen. Wir dachten eine Zeit lang, Frieden in Europa sei gesichert. Die jüngere Vergangenheit mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat uns eines anderen belehrt. Ich kann an dieser Stelle aus Zeitgründen nicht auf die neuen Krisen und Herausforderungen eingehen, mit denen Deutschland und Frankreich als Herzstück der EU wieder konfrontiert sind. Aber genau deswegen – weil wir gemeinsam das Herzstück der EU sind – werden wir gemeinsame Antworten finden müssen.
Europa als Baum, unsere Städtepartnerschaft als Baum – dieses Bild zieht sich durch die Jahre unserer Freundschaft. In Feurs ist bereits ein Baum als Sinnbild unserer Verbindung gepflanzt worden, dort wurde auch ein bayerischer Maibaum aus Musterstadt aufgestellt. In Musterstadt stand das bisher noch aus. Anlässlich des 60-jährigen Jubiläums wollen wir das ändern und haben zu diesem Zweck vor unserer neuen Grundschule Graßlfing einen Baum gepflanzt, der in den nächsten Jahrzehnten unserer Partnerschaft wachsen und gedeihen soll. Unter dem Baum werden wir noch heute einen Findling enthüllen, der ebenfalls der Städtepartnerschaft zwischen Musterstadt und Feurs gewidmet ist.
Dass dieser Baum mit dem Findling vor einer Schule steht, ist nur folgerichtig. Bereits ein Jahr nach der Unterzeichnung der Verschwisterungsurkunde kam eine Schülergruppe aus Feurs nach Musterstadt. Damit zählen Feurs und Musterstadt zu den ersten Partnernkommunen, die Schulen in ihre Verbindungen miteinbezogen haben.
1964 waren es 23 Schülerinnen und Schüler – vor zwei Wochen habe ich im Rathaus gut 30 Austauschschülerinnen und - schüler aus Feurs empfangen, die gerade bei ihren Gastfamilien in Musterstadt zu Besuch waren. Genau das zeigt, wie richtig diese Partnerschaft ist und das, was wir mit ihr erreichen, wie wichtig ihr Fortbestand ist. Seit Anbeginn unserer Beziehungen war der Schüleraustausch eine Grundlage unserer Beziehungen. Und damit schließt sich der Kreis: Wie der von Félix Nigay beschworene Baum Europa, wie der Baum in Feurs, soll der Baum vor der Grundschule Graßlfing wachsen wie unsere Freundschaft, starke Wurzeln schlagen und sich genauso langlebig entwickeln wie unsere Beziehungen. Ein Baum symbolisiert Stärke, Ewigkeit und Leben – dasselbe wünsche ich mir für die Zukunft unserer Partnerschaft.
Wir wir alle wissen, blieb es nicht bei den Verbindungen zwischen den Schulen und den offiziellen Vertretern der Kommunalverwaltungen. Hinzu kamen im Lauf der Jahre Kontakte zwischen Musikern, Vereinen, Sportlern. Die Gewerbeverbände fanden zueinander genau wie die Feuerwehren. Erst vor zwei Wochen wurde dem Capitaine Francois Perrot der Feuerwehr Feurs von Kreisbrandrat Christoph Gasteiger die Medaille des Deutschen Feuerwehrverbands für internationale Zusammenarbeit in Bronze verliehen. Daran sieht man, dass es gelungen ist, aus der Partnerschaft auf dem Papier echte Bande der Freundschaft zu knüpfen, die Menschen in unseren beiden Städten miteinander verbinden, bis heute und hoffentlich bis weit in die Zukunft.
Außenministerin Bärbock hat anlässlich des 60. Jahrestags der Unterzeichnung des Elysee-Vertrags gesagt: „Die deutsch-französische Freundschaft ist Kern unserer politischen Identität. […] Wir müssen jeden Tag in diese Freundschaft investieren: Mit persönlichen Begegnungen, mit konkreten Projekten und vor allem: mit ganz viel Herzblut. Denn unsere Freundschaft bleibt der Schlüssel für Frieden in Europa.“
Die letzten Jahre mit Pandemie, Krieg auf dem europäischen Kontinent, Energiekrise, beispiellosen Flüchtlingsströmen, der sich stetig verschärfenden Bedrohung durch den Klimawandel und Falschinformationen im Internet, die an den Grundfesten der Demokratie rütteln, haben uns gezwungen, die Welt wieder neu zu betrachten. Neue Unsicherheiten sind entstanden, wir alle haben unseren Optimismus ein Stück weit verloren, als Einzelpersonen wie als Kommunen. Aber wenn es eine Geschichte gibt, die uns in schwierigen Zeiten oder ausweglos erscheinenden Situationen positiv stimmen sollte, dann ist es die Erzählung von den Feinden, die erst zu Partnern und dann zu Freunden wurden. Feurs und Musterstadt, Frankreich und Deutschland. Diese Geschichte sollten wir fortschreiben und weitererzählen und sie sollte uns eine Quelle der Inspiration und des Muts sein.